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Sonntag, 30. September 2007Dieser Artikel begeistert mich:
Zarte Lebensweisheiten
einer großen Dame
Von Peter Bacher
(ca 1.8.2004 in WELT am SONNTAG?)
LIEBE AENNE BURDA, es war purer Zufall, dass ich am vergangenen Wochenende bei Ihnen in Offenburg vorbeischaute, wie ich es immer gern tat, wenn ich in Ihre Gegend kam. Und ich war überrascht, als mich Ihre Haushälterin fragte, ob ich ein Interview führen wollte, denn ich hatte mich privat angemeldet. Bis ich dann den Grund erfuhr: Sie wurden jetzt 95 Jahre alt. Was für ein stolzes Alter! 95 - das ist eine magisehe Zahl. 95 ist biblisch. 95 ist Gipfelsturm. Sie haben mir vor fünf Jahren Rede und Antwort gestanden, als ich erfahren wollte, wie es inwendig aussieht, wenn man neunzig wird. Altwerden sei allemal schmerzlich, das haben Sie gesagt, vor allem für die Seele, mehr noch als für die Knochen.
Ich habe viel gelernt, als Sie mir Ihre Gedankenwelt öffneten, wie es nur eine Frau kann, die neun Jahrzehnte durchschritten bat, mutig, voller Fantasie und als Verlegerin immer auf der Überholspur, weltweit operierend.
Verraten Sie mir Ihr Lieblingsgedicht? Es war keine typische Interviewfrage, aber sie war der Schlüssel zu Ihrer Seele. Denn Sie zitierten spontan Hermann Hesse:
,,Seltsam, im Nebel zu wandern, Leben heißt Einsamsein, keiner kennt den anderen, jeder ist allein.“ Ich wollte es nicht glauben. Das sagten Sie, die Sie die interessantesten Menschen der Welt kennenlernten, die Sie an der Seite Ihres Mannes Franz ein Presse-Imperium aufgebaut haben; das sagten Sie als Mutter von drei Söhnen?
Unvergesslich für mich Ihre lebensweise Antwort: ,,Es ist mehr Einsamkeit unter den Menschen, als Sie es sich überhaupt nur vorstellen können, mein Freund. Horchen Sie in die Menschen hinein, und Sie werden erfahren: Ja, so ist es, das Leben ist in den tiefsten Tiefen für jeden voller Einsamkeit.“ Dann werden Sie, erwiderte ich, sicher auch dem Hesse-Wort zustimmen, wonach der alte Mensch der Menschen nicht mehr bedarf, man hat ihrer genügend gesehen, was er im Alter braucht, sei vor allem eins: Stille. Da funkelten Ihre Augen: ,,Hier irrt der von mir sonst so geliebte Meister total. Was die Menschen im Alter brauchen, und zwar unbedingt, sind viele Menschen, viele Kontakte, viele Anrufe, viele Besuche, viele Briefe.“
Und mit Blick auf die in Mode gekommenen ,,Frühpensionierungen“ sprachen Sie eine Wahrheit aus, die so viele Betroffene inzwischen längst am eigenen Leib erfahren haben: ,,Nichts wiegt den Verlust einer Arbeit auf, in der du total aufgehst, wie ich es in meinem Verlag hatte. Deshalb finde ich es grausam, wie Menschen, die noch nicht richtig alt sind, heute immer noch gegen ihren Willen zur Seite geschoben werden.“
Unvergessen auch Ihr Blick auf die Frauen, die, vom ,,Karrierefieber" gepackt, mit den Männern um jeden Preis gleichziehen wollen; die vom Jugendwahn überwältigt bis zur Erschöpfung Golfen oder Tennisspielen; und sich in Fitnessstudios an schreckliche Marter-Apparate hängen.
Wen unter den vielen Prominenten, die Sie erlebten, haben Sie am meisten bewundert? Ihre Antwort: Herbert von Karajan. Er war Ihr Nachbar in Anif bei Salzburg, wo Sie jahrzehntelang ein zweites Zuhause hatten. ,,Karajan war der einzige Mensch auf der Welt, dem ich am liebsten meine Hände unter seine Füße gelegt hätte“ - kann man Zuneigung schöner formulieren?
Nun also sind Sie fünfundneunzig, und ich frage mich: Wie sieht es im Herzen eines Menschen aus, der diesen Gipfel erklommen hat:
Blickt er zurück auf die Strecke, die er auf diesem Planeten zurückgelegt hat - in Ihrem Fall eine leuchtende Spur — oder hebt er den Blick nach oben zu den Sternen und öffnet sich dem Mysterium des Lebens?
Der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen schrieb, 69 Jahre alt, in einem Brief den traurigen Satz: ,,Gehe ich in den Garten, zu den Rosen, was haben sie mir noch zu sagen, was sie mir nicht schon gesagt hätten“ - die verzweifelte Klage eines alten Menschen über den Verschleiß der Welt und seines Selbst.
Ich freute mich zu sehen, dass Sie mit 95 Jahren mit einer Staffelei Ihren geliebten Garten aufsuchten, um Landschaft und Blumen zu malen. Und dass Sie dem Jubelwort von Wilhelm Raabe zustimmten, das da lautet: ,,So schönes Wetter - und ich noch dabei!“ Ein Wort, in dem sich wie in einer Chiffre das Glücksgefühl ausdrückt, auch im hohen Alter noch auf diesem wunderbaren Stern zu sein, der sich Erde nennt.
Magdalene („Aenne“) Burda, die „Königin der Kleider“ (* 28. Juli 1909 in Offenburg; † 3. November 2005 in Offenburg) war eine deutsche Verlegerin von Zeitschriften. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute sie mit Burda-Moden einen der größten deutschen Zeitschriftenverlage auf.
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